29.01.2021 | ca. 8 min. Lesezeit | Artikel drucken

GameStop-Aktie: Marktmanipulation durch Kleinanleger?

Der Hype um die bis vor kurzem eher unbekannte GameStop-Aktie treibt immer mehr Anleger in eine potenzielle Spekulationsfalle. Doch die Preistreiberei birgt nicht nur für beteiligte Anleger Risiken. Absprachen zur Manipulation von Aktienkursen sind illegal und könnten für einige der Wortführer zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. 

Digitale Handelsplattformen oder „Neobroker” wie Robinhood in den USA oder Trade Republic in Deutschland gewähren einfachen Zugang zur Börse durch gebührenfreies oder sehr kostengünstiges Handeln per Smartphone. Im vergangenen Jahr meldeten sich Kleinanleger in Scharen bei den Apps an und lösten einen Trading-Boom aus.

Viele dieser Anleger sind im Internet auf der Suche nach dem schnellen Geld und heißen Tipps. Sie scheinen in Internetforen wie Reddit fündig zu werden. Nach Absprache kaufen Sie Aktien von bestimmten Unternehmen und treiben deren Kurse in die Höhe. Normalerweise beeinflussen die Orders einzelner Anleger den Preis von Aktien nicht. Inzwischen hat die Zahl der Anleger durch den Trading-Boom aber eine kritische Masse erreicht. Ende September gab es dann noch eine zusätzliche Neuheit. Ein Anleger schlug auf Reddit vor, den Kurs einer Aktie mit großem Interesse von Leerverkäufern nach oben zu treiben, mit dem Ziel einen short-squeeze in der Aktie zu verursachen.

Was sind Leerverkäufe und was passiert beim short-squeeze?

Beim Leerverkauf leihen sich Anleger Aktien, die sie direkt an der Börse verkaufen und damit den aktuellen Marktpreis als Verkaufserlös erzielen. Sie schulden zu diesem Zeitpunkt dem Verleiher noch immer die Aktie. Um diese Schuld zu einem späteren Zeitpunkt zu begleichen, müssen sie die Aktie zum dann gültigen Marktpreis kaufen. Ist der Preis zwischenzeitlich gesunken, sind die Kosten für die Nachbeschaffung niedriger als der schon erzielte Verkaufserlös. So profitiert ein Leerverkäufer von fallenden Kursen. Ist der Preis jedoch zwischenzeitlich gestiegen, muss der Leerverkäufer die Aktie zu einem Preis beschaffen, der den Verkaufserlös übersteigt, und der Leerverkäufer erzielt einen Verlust.

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Steigt der Preis einer Aktie durch die Nachfrage von zahlreichen Leerverkäufern, die alle gleichzeitig versuchen, ihre ‘Wettschulden’ durch den Kauf der Aktie zu begleichen, spricht man von einem Short-Squeeze. Mancher erinnert sich vielleicht noch an die Volkswagen-Aktie, deren Kurs im Oktober 2008 innerhalb weniger Stunden von 200 auf über 1000 Euro anstieg. Der in der Gamestop-Aktie entstandene Short-Squeeze ist also nicht neu, wohl aber, dass er von Kleinanlegern angeführt wird.

Leerverkäufer sind meist Hedgefonds, die auf fallende Kurse setzen. Die Vorstellung, dass sie von Kursverlusten profitieren, während andere Anleger Geld verlieren, erscheint vielen Menschen fragwürdig. Umgekehrt zahlen sie dem Eigentümer der Aktie aber eine Leihgebühr (bei Gamestop bis zu 25 % im Jahr) und erleiden unbegrenzte Verluste, wenn der Kurs entgegen ihrer Erwartung steigt. Leerverkäufe geht man daher nur bei starker Überzeugung ein, dass mit dem Unternehmen etwas nicht stimmt. Dadurch können Hedgefonds die Preisfindung fördern und der Überbewertung von Aktien vorbeugen. So trug der Hedgefonds von Fahmi Quadir maßgeblich zum Auffliegen des Betrugs bei Wirecard bei. Die 29-jährige Fondsmanagerin wurde zuvor schon als Leerverkäuferin von Valeant bekannt.

Geschehnisse können mittelfristig die Marktintegrität gefährden

„Vorab: Anleger, die zum Beispiel über ETF breit gestreut investieren, brauchen sich keine Sorgen zu machen. Die Entwicklungen betreffen nur eine Handvoll Werte. Auf den ersten Blick sind die Ereignisse um die bei Leerverkäufern beliebten US-Aktien also einfach kurios und auch ein bisschen unterhaltsam“, sagt Chief Investment Officer Kim Felix Fomm zur Einordnung der Geschehnisse. „Große Hedgefonds sind definitiv nicht die großen Sympathieträger; die Schadenfreude in den Beiträgen in sozialen Medien und teilweise in der Presse macht das deutlich.

Auf den zweiten Blick geben die Reaktionen aber auch Anlass zur Sorge. Was aktuell geschieht, könnte langfristig die Marktintegrität gefährden. Große Zahlen kleiner Anleger vernetzen sich, um Kurse zu manipulieren und werden dafür gefeiert. Wenn Broker aus technischen Schwierigkeiten – oder wie Robinhood in den USA wegen regulatorischer Anforderungen – das Handeln einschränken, wird das als Einflussnahme zugunsten der Wallstreet und böser Hedgefonds gebrandmarkt. Tatsächlich hat es einige Anleger vor größerem Schaden bewahrt, wie die Kursentwicklung der letzten Tage zeigt.”

Was geschah bei Gamestop?

Der lange erfolgreiche US-Hedgefonds der Firma Melvin Capital setzte aufgrund der trüben Geschäftsaussichten des Unternehmens GameStop auf einen fallenden Aktienkurs. Doch er wurde durch die Kleinanleger in die Knie gezwungen: Der Hedgefonds musste seine Short-Position auf GameStop während des short-squeeze mit hohen Verlusten aufgeben. Die Aktie der US-Einzelhandelskette hat seit Jahresbeginn in der Spitze um mehr als 2.000 % zugelegt, am Donnerstag fiel sie von über 400 auf unter 130 USD, aktuell (3.2.2021) steht der Kurs unter 80 USD. Diese extremen Ausschläge sind nur durch einen vorübergehenden Short-Squeeze möglich.

In der Folge überschlugen sich die Ereignisse: Die Neobroker schränkten den Handel mit Gamestop und weiteren Aktien ein, Robinhood musste sich einen Kreditrahmen von bis zu einer Milliarde US-Dollar verschaffen und nahm zusätzlich über 2,4 Milliarden EUR neues Kapital auf, um sich gegen mögliche Probleme bei der Handelsabwicklung abzusichern und die Stabilität des Unternehmens zu gewährleisten. Der Fall beschäftigt Finanzmarktaufseher weltweit, das Weiße Haus gab bekannt, dass die Regierung, inklusive Finanzministerin Janet Yellen, die Situation genau beobachtet. Eine ungewöhnliche Einmütigkeit herrscht bei Politikern in den USA: die linke Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez und der rechte Republikaner Ted Cruz forderten Rechenschaft von Robinhood, offensichtlich in der Annahme, dass Anleger hier um ihren sicheren Gewinn gebracht wurden.

Kleinanleger verlieren bei ähnlichen Konstellationen im Schnitt fast 30 %

Doch wer wie Ocasio-Cortez und Cruz glaubt, dass mitspekulierende Kleinanleger durch die Handelsbeschränkungen der Neobroker um ihre Gewinne gebracht werden, täuscht sich – zumindest im Schnitt. Eine Studie* angesehener Finanzwissenschaftler zum Verhalten von Investoren während Marktmanipulationen aus dem Jahr 2018 zeigt das. Demnach verlieren Anleger bei sogenannten „Pump and Dump“-Situationen, also der gezielten Manipulation von Aktienkursen, im Durchschnitt fast 30 % ihrer Anlagesumme. Auch Manipulationen wie bei GameStop fallen in diese Kategorie. Untersucht wurden die Depots von 110.000 Kleinanlegern bei einer großen deutschen Bank. Der fortgesetzte Kursverfall zeigt, dass dieses Ergebnis wohl auch im vorliegenden Fall zu erwarten ist.

 

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Marktmanipulation kann zu Haftstrafen führen

„Was einigen Anlegern anscheinend nicht klar ist: Was sie hier über Reddit machen, ist eine Absprache zur Beeinflussung der Kurse von Aktien“, sagt Fomm. „Die gescholtenen Hedgefonds, beziehungsweise ihre Mitarbeiter, würden für das gleiche Verhalten ins Gefängnis gehen. So hat Melvin Capital entgegen vielfältiger Behauptungen keinerlei illegale Praktiken genutzt. Eine Debatte, ob es möglich sein sollte, Leerverkäufe über mehr Aktien zuzulassen als ein Unternehmen ausgegeben hat, wäre angebracht. Das muss allerdings im politischen Diskurs entschieden werden. Es ist schwierig zu begründen, warum es illegal sein soll, wenn große Investoren sich absprechen, bei vielen kleinen Anlegern sei dieses Vorgehen aber in Ordnung (oder sogar zu befürworten, wie es offensichtlich viele sehen).“

Sollte sich diese neue Form der Marktbeeinflussung etablieren, könne das die Funktion der Finanzmärkte langfristig negativ beeinflussen, so Fomm: „Die Preise, die sich am Aktienmarkt bilden, beeinflussen die Investitionen und damit einen wichtigen Treiber der Volkswirtschaften aller Länder. Sind sie nicht mehr verlässlich, fließt Geld in schlechte Unternehmen, was langfristig volkswirtschaftlichen Schaden anrichten kann. Das ist für niemanden gut – nicht für die spekulierenden Kleinanleger, nicht für die Wallstreet und auch nicht für die Bürger.”

Global diversifiziert statt spekulativ

Die Spekulanten suchen schon nach den nächsten Aktien, deren Kurs sie in die Höhe treiben können. Aber bei den Aktivitäten der Kleinanleger handelt es sich um einen kleinen Marktanteil. Außerdem ist diese Form der Preismanipulation nur bei einzelnen kleinen Unternehmen wirksam. Aktien großer Unternehmen haben deutlich höhere Börsenumsätze und können daher nur mit viel größeren Summen beeinflusst werden. Anleger von Raisin Invest legen breit gestreut in knapp 10.000 Unternehmen an, daher ist der Einfluss der Entwicklung einzelner Aktien verschwindend gering. Langfristig orientierte Anleger kennen die Vorteile der Risikostreuung und lassen sich nicht durch Internetforen und verkürzte Medienberichterstattung aufs Glatteis führen.

 

Studie: 

¹Leuz et. al. 2018: Who Falls Prey to the Wolf of Wall Street? Investor Participation in Market Manipulation. Center for Financial Studies Working Paper No. 609 (Link

 

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