01.06.2018 | ca. 6 min. Lesezeit | Artikel drucken

Der langsame Aufstieg aus dem Zinskeller

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind zehn Jahre vergangen. Der Kampf gegen die Schulden scheint gewonnen. Die globale Wirtschaft wächst und der Euro hat seine Existenzkrise überwunden. Nur die Zinsen sind weiterhin im Keller. Zeit, Bilanz zu ziehen: Wie es dazu kam, was Politik und Wirtschaft zur Eindämmung der Krise unternommen haben und wohin die Reise geht.

Angefangen hat alles mit einer Blase am US-Markt für Hypothekenkredite, die zuerst den Bankenmarkt in den USA in eine tiefe Krise stürzt und sich von dort aus schließlich über den Atlantik nach Europa und den Rest der Welt ausbreitet. Am 15. September 2008 muss die traditionsreiche New Yorker Investmentbank Lehman Brothers Gläubigerschutz anmelden und markiert damit den Tiefpunkt der Bankenkrise. Die Zahlungsunfähigkeit der renommierten Bank führt zu einem Vertrauensverlust. Zahlreiche Geldinstitute leihen sich einfach kein Geld mehr. Etliche müssen Insolvenz anmelden oder von ihren Regierungen gerettet werden.

Nur wenige Wochen später wird in Washington ein 700 Milliarden schweres Rettungspaket verabschiedet und leitet eine noch nie dagewesene Rettungsaktion für Kreditinstitute ein, die nicht nur in den USA, sondern auch in Europa noch Jahre beschäftigen wird. In Europa weitet sich die Bankenkrise in den Jahren bis 2012 zu einer existentiellen Staatsschuldenkrise aus, die nicht nur Griechenland, sondern auch Portugal, Spanien, Zypern und Italien an den Rand der Zahlungsunfähigkeit treibt.

Die Rettungspolitik der Troika

Die Krisenstaaten können sich selbst nicht am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen. Die drei Gläubiger aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und Europäischer Union müssen bis heute mehr als 600 Milliarden EUR in Form von Rettungspaketen und staatlichen Garantien aufbringen, um die Staaten in der Euro-Zone zu halten und den gemeinsamen Währungsraum zu beschützen.

Doch die Rettungsaktionen der drei Gläubiger, auch Troika genannt, sind an strikte Sparauflagen geknüpft, die vor allem in Griechenland zu einem Abbau des Sozialstaats, zur Kürzung von Gehältern, Renten und anderen Transferleistungen führen. Zahlreiche europäische Länder – auch Deutschland – stürzen in die Rezession.

Der Weg aus der Krise – Die Bankenunion

Die milliardenschweren Rettungspakete und eine harte Austeritätspolitik (Sparpolitik) waren zwei von drei Säulen, um Europa aus der Krise zu holen und wieder wachstumsfähig zu machen. Die Europäische Union beschloss eine umfangreiche Regulierung des Bankensektors, die in einem gemeinsamen Projekt, der Europäischen Bankenunion, integriert wurde.

Die Bankenunion besteht aus der Bankenaufsicht, der Bankenabwicklung und der Einlagensicherung. Die Europäische Zentralbank übernimmt die Rolle der Bankenaufsicht auf dem gesamten Kontinent und entscheidet darüber, welche Banken im Notfall Mittel aus dem 500 Milliarden EUR schweren europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erhalten, der von den Mitgliedsstaaten für den Krisenfall bereitgestellt wird.

Um für den Fall einer Bankenpleite gerüstet zu sein, wurde das zweite Element der Bankenunion, die Einheitliche Bankenabwicklung, ins Leben gerufen. Sie steht ebenfalls unter der Aufsicht der EZB und verfügt über weitere 55 Milliarden EUR.

Die Spareinlagen sind sicher

Das dritte Element der Bankenunion ist die Einlagensicherung. Danach sind alle EU-Länder dazu verpflichtet, bankenfinanzierte Einlagensicherungsfonds vorzuhalten, damit im Entschädigungsfall Bankeneinlagen bis zu 100.000 EUR garantiert sind. Dieses Schutzniveau gilt pro Bank und pro Kunde. Dank der Einlagensicherung können sich Sparer in ganz Europa auf die Jagd nach den verlorenen Zinsen begeben.

Im Zuge der Bankenregulierung müssen die notleidenden Kreditinstitute in Europa ihre faulen Kredite auslagern und ihr Einlagekapital erhöhen. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, doch an seinem Ende könnte eine Europäisierung der Einlagensicherung stehen. Dabei würden die Spareinlagen notleidender Banken von allen Ländern der EU garantiert. Die Debatte, wie und wann dieses Projekt umgesetzt werden soll, ist aber noch nicht abgeschlossen.

Neben den Rettungspaketen der Troika und den Regulierungen infolge der Bankenunion gibt es aber noch weitere Akteure, die einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der Krise geleistet haben.

Die Rolle der Zentralbanken

Die Bankenkrise reißt im Jahr 2009 auch die Börse in den Abgrund. Der US-Aktienindex S&P 500 brach um mehr als die Hälfte ein, ebenso wie der deutsche Leitindex DAX.

Als Reaktion auf die zahlreichen Bankenpleiten und den Börsencrash 2008 senkt die US-Zentralbank Fed die Zinsen auf Null. Banken können sich fast zum Nulltarif mit Liquidität versorgen und die Wirtschaft mit günstigen Krediten ankurbeln, lautete die Theorie.

Die Fed kauft überdies im großen Stil die notleidenden Hypothekenkredite und Anleihen der Banken auf, um diese zusätzlich mit Liquidität zu versorgen und vor dem Kollaps zu bewahren. Davon profitieren auch die Börsen. Damit liefern die USA die Blaupause für die Zentralbanken in Europa und Großbritannien, die ebenfalls die Zinsen senken. Die EZB agiert später auch als Käufer von Staatsanleihen der notleidenden Mitgliedsstaaten und verhindert damit eine Staatspleite in Griechenland und Irland.

In den Jahren nach der Schuldenkrise 2012 beruhigt sich die Lage allmählich. Nach einem kurzen Ölpreis-Schock bis 2015 und damit einhergehenden Deflationsängsten setzt sich aufgrund der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken schließlich ein synchrones und weltweites Wachstum der größten Volkswirtschaften bei gleichzeitig niedriger Inflation und sinkender Arbeitslosigkeit ein – auch als Goldilocks-Szenario bezeichnet. Nach der Präsidentschaftswahl in den USA nimmt das Wachstum an Fahrt auf und vor dem Hintergrund sinkender Arbeitslosigkeit und einer robusten Konjunktur beginnt die Fed damit, den Leitzins in mehreren Schritten von Null auf 1 Prozent anzuheben.

Die Rückkehr zu steigenden Zinsen

Wann die nächste große Wirtschaftskrise ausbrechen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Tatsache ist: Die Krisenjahre ab 2008 haben die Welt für immer verändert. Das Bankensystem musste sich harten Regulierungen unterwerfen und die Staaten in Europa wurden einem rigorosen Spardiktat unterworfen. Die Maßnahmen zeigen Wirkung und auch die Börsen haben die Kursverluste aus den Krisenjahren mit neuen Höchstständen Anfang 2018 mehr als wieder gut gemacht.

Die Zeit wird zeigen, ob die Europäische Zentralbank die expansive Geldpolitik eindämmen kann. Im September soll das monatliche Anleihen-Kaufprogramm auslaufen. Wenn alles gut geht, folgt dann der vorsichtige Aufstieg aus dem Zinskeller.

 

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