14.01.2019 | ca. 7 min. Lesezeit | Artikel drucken

Baustelle Finanzbildung: Was Politik und Schulen besser machen können

Finanzbildung in Deutschland gleicht einer Baustelle. Der politische Prozess ihrer Aufbereitung für Schüler und Erwachsene ist aufwendig und langwierig. Finanztip-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen und Prof. Dr. Gerhard Weibold zeigen mit eigenen Projekten, dass man nicht auf politische Reformen warten muss, um Veränderungen herbeizuführen.

 

WeltSparen: Warum gibt es bei der Finanzbildung in Deutschland einen so großen Nachholbedarf?

Hermann-Josef Tenhagen, Wirtschaftsjournalist und Chefredakteur von Finanztip.de: Finanzbildung steht leider noch immer nicht bundesweit auf dem Lehrplan. Es gibt einzelne Bundesländer, wie etwa Baden-Württemberg, die jetzt das Fach Wirtschaft eingeführt haben. In Summe aber hat das Thema noch zu wenig Stellenwert in den Kultusministerien. Das hat zur Folge, dass noch immer sehr viele Jugendliche die Schule mit wenig bis gar keiner Finanzbildung verlassen. Das ist nicht lebenspraktisch.

Prof. Dr. Gerhard Weibold, Unternehmensberater und Initiator von finanzbildung.de: Den Nachholbedarf in Deutschland sehe ich weder größer noch kleiner als anderswo. Die Forderung nach mehr Finanzbildung wurde bereits vor 10 Jahren von der Europäischen Kommission erhoben. Es folgte die Einrichtung einer „Expert Group on Financial Education“ und es kam zu zahlreichen Veranstaltungen, Berichten und Absichtserklärungen. Abgesehen davon, dass durch die mediale Themenpräsenz die Begriffe „Financial Education“ und „Financial Literacy“ in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang fanden, blieben vorzeigbare Umsetzungserfolge in den Mitgliedsländern weitgehend aus.

 

Warum kommt das Schulfach Wirtschaft erst jetzt?

Tenhagen: Das hat viel damit zu tun, welche Debatten wir als Gesellschaft führen. Ich habe aber das Gefühl, dass hier gerade das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas wächst. Jugendliche kommen aus der Schule, müssen erste Entscheidungen für Versicherungen, für ihre Geldanlage und die Altersvorsorge selbst treffen. Und wer noch nie von gesetzlicher Rente, Lebensversicherungen oder Aktienfonds gehört hat, ist dann schnell überfordert.

Weibold: Dass inhaltliche Anpassungen von Bildungszielen einen langwierigen politischen Verhandlungs- und Entscheidungsprozess erfordern, ist bekannt. Es gilt aber auch hier: Besser spät als nie. Und was die Bundesländer betrifft, wird es immer Vorreiter und Nachzügler geben. Wirtschafts- und Finanzthemen begleiten unseren Lebenslauf und prägen unseren Lebensstandard. Ich halte ökonomische Basisbildung daher für unverzichtbar und das gilt nicht nur für Jugendliche sondern noch viel mehr für Erwachsene.

 

Seitens der Politik ist strittig, ob es eher um die Vermittlung von wirtschaftlichem Grundwissen (Steuern, Miete, Rente, etc.) oder darum gehen soll, wie man ein Unternehmen gründet. Wo sollte der Schwerpunkt Ihrer Meinung nach liegen?

Weibold: Ein Basiswissen über Wirtschafts- und Finanzthemen kommt der gesamten Bevölkerung zugute. Und zwar unabhängig davon, ob man als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger am Wirtschaftsprozess teilnimmt. Gründet man hingegen ein Unternehmen und wird in der Folge Arbeitgeber, sind die Anforderungen an das Wirtschafts- und Finanzwissen doch deutlich höher und es wird der Erwerb zusätzlicher Qualifikationen erforderlich. Als Unternehmer spielt und kämpft man sozusagen in einer höheren Liga.

Hermann-Josef Tenhagen ist Wirtschaftsjournalist und ist seit 2014 Chefredakteur des gemeinnützigen Verbraucher-Ratgebers Finanztip. Zuvor war er 15 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest, eines Monatsmagazins der Stiftung Warentest.
Hermann-Josef Tenhagen.

Tenhagen: Nicht jeder ist dafür gemacht, Unternehmer zu werden – jeder sollte aber in der Lage sein, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, die vernünftig sind. Deshalb ganz klar: Die Vermittlung von wirtschaftlichem Grundwissen ist Pflicht, die Förderung von unternehmerischem Talent eine mögliche Kür.

 

Wie schätzen Sie die Kritik von Gewerkschaften und Lehrerverbänden ein, Wirtschaftskonzerne könnten einen zu starken Einfluss auf die Schüler nehmen?

Weibold: Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet und es ist auf jeden Fall zu verhindern, dass Unternehmen – egal aus welchem Wirtschaftszweig – werblichen oder gar inhaltlichen Einfluss auf Schulen, Lehrer oder Schüler nehmen. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich Unternehmen – häufig sind es Banken und Versicherungen – gelegentlich als Förderer von Schulprojekten betätigen und sinnvolle Investitionen und Projekte unterstützen. Hier sind jedoch klare Regelungen zur Compliance aufzustellen und einzuhalten.

Tenhagen: Die Furcht ist nicht unberechtigt. Viel Schulmaterial zum Thema, das heute im Umlauf ist, kommt von Banken und Versicherungen und dient damit mindestens potentiell auch anderen als Bildungsinteressen. Deshalb sollten Lehrer unbedingt prüfen, ob das Material neutral oder interessengeleitet ist. Ein wichtiges Unterrichtsziel muss dann sicher sein, dass Schülerinnen und Schüler lernen, welche möglichen Intentionen Absender von Bildungsmaterial haben könnten.  

 

Sie setzen sich beide mit jeweils eigenen Projekten für die Verbesserung der Finanzbildung ein. An wen richten sich die Projekte und welche Dienstleistungen bieten Sie an?

Weibold: Die Websites finanzbildung.de und finanzbildung.at sind kostenfreie oder kostenminimale Bildungsangebote, die in Deutschland und in Österreich flächendeckend Erwachsene und Jugendliche erreichen wollen. Es geht dabei um wichtige Anlage-, Finanzierungs- und Versicherungsthemen sowie auch um allgemeine Finanzthemen, die sich schon seit rund 10 Jahren auf „finanzbildung.eu“ bewährt haben. Dort bieten wir den „€FDL Finanzführerschein“ (€uro Finance Driving Licence) an und haben uns damit den Ruf einer interessenunabhängigen Instanz für Finanzbildung erworben.

Tenhagen: Finanztip ist gemeinnützig, unser Unternehmenszweck ist die Förderung der Verbraucherbildung. Wir haben schon länger mit dem Gedanken gespielt, wie wir diesen Auftrag neben dem üblichen Betrieb unserer Website erfüllen können. Mit Finanztip in die Schulen zu gehen lag da auf der Hand. Mit dem IZOP-Institut haben wir jetzt einen vertrauensvollen Partner gefunden, mit dem wir ein solches Projekt umsetzen können. Unser Ziel ist es, den Jugendlichen neben der wichtigen Finanzbildung auch Medienkompetenz zu vermitteln. Wir befinden uns bei finanztip.schule aktuell in der Pilotphase und entwickeln mit den teilnehmenden Schulen die Unterrichtsmaterialien. Am Ende des Schuljahrs werden wir ein umfassendes Finanz-Curriculum veröffentlichen, dass jede Schule in Deutschland nutzen kann. Im Rahmen des Projekts werden wir zudem in die teilnehmenden Klassen gehen bzw. die Klassen zu uns in die Redaktion einladen, um uns mit den Jugendlichen auszutauschen und Feedback einzuholen. finanztip.schule richtet sich an Klassen ab der Jahrgangsstufe 9. Das Projekt eignet sich vor allem für den Einsatz in Gymnasien, Gesamtschulen, Wirtschaftsschulen und berufsbildenden Schulen.

 

Gibt es Länder in Europa, an denen wir uns beim Thema Finanzbildung ein Vorbild nehmen können?

Tenhagen: Das Problem schlechter Finanzbildung gibt es in vielen Ländern. Allerdings hat zum Beispiel Spanien eine nationale Strategie zur Förderung von Finanzbildung verabschiedet. Das ist in Deutschland aufgrund des föderalen Systems leider nicht zu erwarten. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesländer mehr Wirtschaft auf den Lehrplan packen.

Prof. Dr. Gerhard Weibold ist selbstständiger Unternehmensberater und Vorsitzender des Vorstandes der financial education services AG sowie Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften im In- und im Ausland.
Prof. Dr. Gerhard Weibold.

Weibold: Es ist grundsätzlich erfreulich, dass alle paar Wochen neue Initiativen mit speziellen Themen für spezielle Zielgruppen in speziellen Ländern vorgestellt werden. Gleichzeitig entsteht dadurch ein nicht mehr zu überblickender Wildwuchs inhaltlicher und didaktischer Art und es fällt schwer, Vorbilder zu identifizieren. Und dass das Thema der Förderung von Finanzbildung der Bevölkerung beispielsweise in das österreichische Regierungsprogramm ausdrücklich aufgenommen wurde, macht daraus noch keine Vorbildfunktion, ist aber ein willkommenes Signal.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Hermann-Josef Tenhagen ist Wirtschaftsjournalist und seit 2014 Chefredakteur des gemeinnützigen Verbraucher-Ratgebers Finanztip. Zuvor war er 15 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest, eines Monatsmagazins der Stiftung Warentest. 

Prof. Dr. Gerhard Weibold ist selbstständiger Unternehmensberater und Vorsitzender des Vorstandes der financial education services AG sowie Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften im In- und im Ausland.