26.05.2016 | ca. 4 min. Lesezeit | Artikel drucken

WeltSparen Interview mit Dr. Ulrich Fielitz

Dr. Ulrich Fielitz arbeitet seit 22 Jahren als selbstständiger Wissenschaftler mit den Arbeitsschwerpunkten radioökologische Rechenmodelle, Satellitentelemetrie und Wirtschaftsinformationen. Das Interesse an Suchmaschinenoptierung führte zu eigenen Webprojekten, wie dem Vergleichsportal www.tagesgeldvergleich.com. Neben einem tagesaktuellen Tagesgeld- und Festgeld-Vergleichsrechner wird hier Hintergrundwissen über die ökonomischen Zusammenhänge der Zinsbildung in Deutschland und dem Ausland angeboten. Auf www.dollarkonto.com geht es um Devisen als Tagesgeld, wobei der US Dollar und die globalen Kursprognosen im Vordergrund stehen.

 

Ist die Niedrigzinsphase, die 8 Jahre nach Ausbruch der Finanzmarktkrise in 2016 ihren bisherigen Tiefpunkt erreicht hat, die „neue Normalität“ in Deutschland und der Europäischen Union?

Es hat zumindest den Anschein, wenn als Zeithorizont die absehbare Entwicklung in den kommenden Jahren bis 2020 genommen wird. Die Finanzstabilität in Europa scheint nur mit der aktuellen extrem lockeren Geldpolitik der EZB, die den 0% Leitzinssatz (Hauptrefinanzierungssatz) und sogar die -0,4% für die Einlagefazilität beinhaltet, erreicht zu werden. Griechenland und einige andere Südländer in der EU haben anhaltend Schwierigkeiten mit ihren Haushalten. Bei steigenden Zinsen hätten diese Länder deutlich höhere Finanzierungskosten, was vermutlich nicht zu bewältigen wäre.

Dazu kommt die sehr geringe Inflation, die mit relativ niedrigen Wachstumsraten und geringen Investitionen einhergeht. Dieser Mix macht eine Zinserhöhung durch die EZB praktisch unmöglich, Mario Draghi hat deshalb mehrfach verkündet, dass die Zinsen „noch sehr lange niedrig bleiben“. Fachleute gehen von einem kaum veränderten Zinsniveau bis 2020 aus.

Die Deutschen horten traditionell einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens in Form von Einlagen. Ist ein solches Verhalten gerade in der Niedrigzinsphase nicht kontraproduktiv? Der EZB Präsident hat kürzlich in einem Interview darauf hingewiesen: „Die Sparer haben es mit ihren Anlage-Entscheidungen selbst in der Hand, wie hoch ihre Erträge ausfallen, auch in Zeiten niedriger Zinsen.“

Ihre Frage erscheint auf den ersten Blick einfach, der Background dazu ist sehr komplex:

Anleger konnten an der Börse von 2009 bis Anfang 2015 mit Aktien eine deutlich höhere Rendite erzielen als mit Einlagen auf Tagesgeld und Festgeld. Der Handel mit Wertpapieren setzt aber eine gewisse Kenntnis voraus und es gabt immer wieder Kurseinbrüche.

Seit dem Frühjahr 2015 ist der Handel mit Aktien, Anleihen und Devisen als Geldanlage aufgrund hoher Volatilitäten (beispielsweise schwankte der DAX zwischen 8.700 und 12.400 Punkte) sehr unbefriedigend und mit hohen Risiken behaftet. Selbst Profis haben Schwierigkeiten eine akzeptable Rendite zu erwirtschaften. Wer sein Geld, oder einen Teil davon in Tagesgeld oder Festgeld angelegt hat, kann ruhig schlafen, Kursverluste sind, solange die Einlagen in Euro sind, nicht möglich.
Herr Draghi hat es in dem Interview leider versäumt, Anlagetipps zu geben. Denn wer als Anleger nicht bereit ist, auch zweistellige Verluste hinzunehmen, und das dürfte die Mehrheit der deutschen Sparer sein, für den kommen Aktien und Anleihen nicht infrage. Was bleibt da an Assetklassen noch übrig?

Am Rande sei noch erwähnt, dass für ältere Sparer, Rentner und alle Personen, die auf regelmäßige Kapitaleinkünfte angewiesen sind, spekulative Anlageklassen nicht als Geldanlage taugen. Die Niedrigzinspolitik der EZB wirkt sich für diese Bevölkerungsgruppe verheerend aus.

Im direkten Zusammenhang mit Ihrer Frage steht der Begriff Realzinsen. Der Blick auf die Inflationsrate und auf einen Tagesgeldvergleich oder Festgeldvergleich zeigt: Die Realzinsen, die ein Anleger mit Einlagen erzielen kann sind gar nicht negativ. Grafisch ist die Entwicklung der letzten 4 Jahre auf http://www.tagesgeldvergleich.com/#realzinsen gut zu sehen. Mit Tagesgeld ist sowohl für Neukunden als auch für Bestandskunden, im April 2016, eine Realverzinsung vor Steuern von 1,35% bzw. 1,05% in der Spitze möglich. Das ist kein schlechter Wert, im historischen Vergleich hat es schon über längere Zeit deutlich niedrigere Realzinsen gegeben: Es gab in den 70er Jahren und zu Beginn der 90er längere Phasen mit negativen Realzinsen.

Als Fazit möchte ich festhalten: Der deutsche Sparer verhält sich mit seiner Anlageentscheidung nicht kontraproduktiv. Für die in den Medien geforderte Flexibilität in der Geldanlage mit der Empfehlung zum Aktienkauf ist potenziell mehr Rendite aktuell mit einem sehr hohen Risiko auf Kursverluste erkauft. Zudem rechnen Fachleute für 2016 mit einer Zunahme der Volatilität an den Finanzmärkten.

Vielen Dank für das Interview und die spannenden Einblicke.